Man soll dankbar sein ließt und hört man überall. Für alles Schöne, das man hat und meistens für selbstverständlich hält, für die Freunde und den Job und die Beziehung, die Kinder, die Gesundheit, die gut gefüllte Schmuckschatulle in der Schublade.

„Sei dankbar für diese Dinge“, scheint auf den ersten Blick eine sinnvolle Aufforderung zu sein. Dankbarkeit soll uns bewusst machen, was wir haben. Nur dann können wir uns auch darüber freuen. Nur leider funktioniert das so nicht. Für mich funktioniert das so nicht, und für dich wahrscheinlich auch nicht. Wenn es mir schlecht geht, wenn ich durchhänge wie ein Elefant in der Hängematte, und wieder denke, alles ist für den Arsch, frage ich mich:
„Wofür bin ich dankbar?“,...oder „Wofür könnte ich dankbar sein, wenn ich mir nicht gerade eine Decke aus Selbstmitleid über den Kopf ziehen würde?“
Ich habe liebe Menschen in meinem Leben, auf die ich zählen kann, ich bin gesund, ich habe ein Dach über den Kopf, meine Waage sagt: ich hab genug zu essen, ich habe Hobbies die mir Freude bereiten... Das sind einige Antworten, die mir dann in deen Sinn kommen.

Dann bin ich dankbar und zufrieden. Ich ziehe mir die Decke des Selbstmitleid vom Kopf, sehe wie beschenkt ich doch vom Leben bin, und atme frische und klare Luft ein. Das Gefühl dieser Dankbarkeit, hält nicht lange vor, meist nur für einen Moment, dann ziehe ich mir erneut die Decke über den Kopf und entgegen kommt mir der schwefelige Geruch, der aus der Hölle der Selbstzweifel und Selbstvorwürfen empor gestiegen ist. Ich habe es schon wieder nicht geschafft, so dankbar zu sein, wie man es der Selbsthilfe-Bewegung entsprechend sein sollte.
Frustriert habe ich die Übung, dankbar zu sein, erst mal wieder aufgegeben.

Es gibt den Mythos, Kühe würden blitzschnell ertrinken, weil sie keinen Schließmuskel haben und ihnen das ganze Wasser in den Hintern läuft. Mir und meiner Dankbarkeit ging es ähnlich. Einem Geist der auf diese Weise Dankbar ist, fehlt der Schließmuskel. In Windeseile füllt er sich mit neuen negativen Gedanken, die ihn beschweren und er taucht wieder unter die besagte
Decke des Selbstmitleids.

So ein Geist ist weder von innen noch von außen geschützt, alles fließt rein und raus wie es gerade will. Mit der Frage wofür wir dankbar sind, verändern wir bewusst unseren Fokus. Das Glas ist genau so halbleer oder halbvoll wie vorher. Allerdings kann man sich auch bei einem zu 99,9% gefüllten Glas auf das eine Zehntel% konzentrieren, das einem fehlt, und die meisten von uns neigen dazu. Außerdem wechseln wir ständig den Fokus, bis zu siebzigtausendmal am Tag.

Das hat die Wissenschaft nachgewiesen. Der winzigste Anstoß von außen reicht und schon liegt unser Fokus bei anderen Dingen als bei denen, für die wir dankbar sein können. Wir bekommen eine Mail oder einen Anruf und sind genervt, oder müssen hilflos mit ansehen, wie eine Kuh mangels Schließmuskel in der Badewanne ertrinkt, oder uns juckt der Rücken an einer Stelle, an die wir nicht drankommen... und alle dankbaren Gedanken sind vergessen und mit ihnen das Gefühl, vom Leben reichlich beschenkt worden zu sein. Das ist das Problem mit dieser kurzfristigen Art von Dankbarkeit, sie verfliegt schneller als der Geruch eines Furzes im Herbststurm. Es gibt aber noch ein weiteres Problem.

Im Buddhismus heißt es: „alles was aufgrund von Bedingungen entsteht, vergeht auch aufgrund von Bedingungen.“

Wenn wir also dankbar sind, WEIL wir gerade gesund sind oder WEIL das schöne Auto vor der Tür steht, sind wir aufgrund von Bedingungen dankbar, die schon im nächsten Augenblick vorbei sein können. Damit ist unsere Dankbarkeit auch, über den Moment hinaus, äußerst anfällig, äußerst zerbrechlich. Sobald der Kaffee nicht mehr heiß, oder das Bier schon wieder schal, oder die Sonne wieder von Wolken bedeckt ist, wird dieser bedingten Dankbarkeit der Boden entzogen.

Ganz zu schweigen von den großen Niederlagen, die uns das Leben in den verschiedensten Bereichen beschert. Wie können wir noch für unsere Gesundheit und Schönheit und Beziehungen
Dankbar sein, wenn sie verwelken wie eine Rose am Ende ihrer Blüte ? Gar nicht. Wenn uns die Dankbarkeit für alles Schöne, was wir haben, nicht hilft, was dann? Der Ausweg lautet: dankbar sein für Grundlegenderes, Dauerhafteres, das unabhängig vom Fokus und den kleinen und großen Sachen ist, die uns „passieren“, die also vergehen wie die Tage im Kalender.

Du könntest dankbar sein für:

- Dein Leben – einfach nur dafür, am Leben zu sein
- Die Zeit, die Dir mit Deinem Leben geschenkt wurde
- Deine Gefühle und Gedanken
- Deine Fähigkeit, die Welt bewusst wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen
- Die Menschen im Allgemeinen, die Dir einen Spiegel vorhalten und das beste Übungsfeld sind um Dich weiterzuentwickeln
- Deine Ideen und dafür, dass Du sie in der Welt ausprobieren kannst
- Deine Niederlagen und Deine Siege – ohne das eine wäre das andere nichts
- Zurückliegende Erfahrungen und Erinnerungen, die Dir nicht mehr genommen werden können
- Die Natur, die Jahreszeiten und die vielfallt der Lebewesen
- ....

Ja, auch unser Leben ist irgendwann vorbei, todsicher, aber bis dahin können noch viele Kaffees abkühlen, Vorhaben scheitern, Biere schal werden und Finger in der Nase bohren.

Wenn wir uns darin üben, dankbar für die bloße Existenz des Universums, der Pflanzen, der Tiere und Menschen, und uns selbst zu sein und dafür, die Welt und das Leben mit allen Seiten kennenlernen zu dürfen, dann kann uns dieses Gefühl der Dankbarkeit tiefer und tiefer durchdringen, uns beleben und durch die Zeit tragen, anstatt nur für einen Moment vorbei zu rauschen, um uns anschließend wieder leer zurückzulassen.

Statt zu sagen, „Ich bin dankbar für das schöne Wetter, mein Haus und meinen Partner“, sagen wir: „Ich bin dankbar.“ Wann immer Du gerade dankbar bist für eine bestimmte Sache, dann kannst Du die Dankbarkeit ausweiten, indem Du sagst: „Ich bin dankbar.“ Du kannst diese drei Worte auch als Mantra für eine Meditation nutzen – Deine Augen schließen, Dich zehn tiefe Züge lang auf Deinen Atem konzentrieren, dann ruhig weiteratmen und dabei wiederholen: „Ich bin dankbar, Ich bin dankbar,...“

So lösen wir unsere Dankbarkeit einerseits von Bedingungen, die jederzeit verschwinden können, anderseits wird Dankbarkeit dadurch mehr und mehr ein Teil von uns selbst, statt nur einer Verknüpfung mit einer Sache im Außen.

Ich bin dankbar.